Internationale Gemeinden

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Was verstehen wir unter einer „Internationalen Gemeinde“?

Bisherige Definitionen

Eine mögliche Definition stammt von Bianca Dümling, Professorin für Interdisziplinäre Grundlagen der Sozialen Arbeit

Damit „werden Gemeinden bezeichnet, die von einem Pastor mit Migrationshintergrund gegründet wurden, deren Hauptsprache nicht Deutsch ist und in der über 75 Prozent der Mitglieder einen Migrationshintergrund haben.“

Dümling, Bianca: Neue Gemeinden hat die Stadt — Migranten, Migrationskirchen und interkulturelle Gemeinden. In: Sommerfeld, Harald: Mit Gott in der Stadt. Die Schönheit der urbanen Transformation, Marburg 2016, 407-424, Seite 412. Viele Beobachtungen dieser Seite gehen auf Bianca Dümling zurück.

Die wissenschaftliche Forschung spricht meistens von „Migrationsgemeinden“ oder „Migrationskirchen“. Sie werden auch „Gemeinden anderer Sprache und Herkunft“ (EKD und viele Landeskirchen seit 1997), „Gemeinden unterschiedlicher Sprache und Herkunft“ (Ev. Kirche in Bayern seit 2017), „muttersprachliche Gemeinden oder Missionen“ (römisch-katholische Kirche) oder interkulturelle Gemeinden genannt.

Eine neue Bezeichnung

Die „Konferenz der Beauftragten für die Arbeit mit Gemeinden anderer Sprache und Herkunft in den Landeskirchen und Werken in der EKD“ (KAGaSH) schlägt vor, diese Gemeinden zukünftig „internationale Gemeinden“ zu nennen.

Der Begriff „internationale Gemeinden“ ist eine selbstbewusste und positive Eigenbezeichnung vieler dieser Gemeinden. „Migranten“ werden dagegen oft Probleme und angebliche Defizite zugeschrieben. Es widerspricht dem Geist der Liebe, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte auf ein „Fremdsein“ oder „Anderssein“ festzulegen. Als Christinnen und Christen wissen wir, dass wir alle auf dieser Welt Gäste sind (Phil. 3,20, Hebr. 13,14), dass Gottes Geist jeden mit Gaben beschenkt (1. Kor. 12) und dass die Gemeinde Jesu alle Grenzen überwindet (Gal. 3, 28).

Internationale Gemeinden sind „international“, weil sich ihre Mitglieder in Deutschland heimisch fühlen und zugleich mit anderen Weltregionen verbunden sind. So werden sie zu Bindegliedern zwischen verschiedenen Nationalitäten und Brückenbauerinnen der weltweiten Christenheit.

Das Gegenüber zu internationalen Gemeinden, die noch stärker in Deutschland heimisch werden möchten, sind einheimische Gemeinden, die sich stärker interkulturell öffnen möchten. So begegnen sich Internationale, die heimisch werden, und Einheimische, die international werden. Beide können sich gegenseitig stärken und voneinander lernen. Mehr und mehr entstehen daraus Gemeinden, die zugleich international wie heimisch sind. Nur gemeinsam können sie die von Gott ausgehende Mission ins Leben tragen.

Woher sie kommen

In Deutschland gibt es etwa 2.000 bis 3.000 evangelische internationale Gemeinden, 460 katholische muttersprachliche Gemeinden und etwa 450 orthodoxe bzw. orientalisch-orthodoxe Gemeinden, die durch Migration entstanden sind. Die Zahl der protestantischen Gemeinden lässt sich nur grob schätzen. Jede Woche bilden sich neue Gemeinden, teilen sich oder benennen sich um, manche lösen sich auf.

Die meisten evangelischen Gemeinden wurden von Pastoren aus Afrika (vor allem aus Ghana und anderen Ländern West- und Zentralafrikas) und Asien (vor allem aus Korea; auch aus China, Sri Lanka, Vietnam und Indonesien, zunehmend auch aus dem arabischen und persischen Sprachraum) gegründet. Dazu kommen Gemeinden mit Wurzeln in Europa, Nordamerika und Lateinamerika. Einige Gemeinden haben sich so weit internationalisiert, dass sie keiner Herkunftsregion zuzuordnen sind.

Viele dieser Gemeinden erwachsen aus privaten Bibel- und Gebetsgruppen. Wenn sie größer werden, bestehen sie oft aus fünfzig bis hundertfünfzig Personen, andere aus mehreren hundert Personen. Durch Abschiebungen, Mobilität und Gemeindewechsel schwankt die Zahl der Gemeindeglieder. Viele Pastoren können von ihrer Gemeinde nicht finanziert werden und verdienen ihr Geld in anderen Berufen.

Theologie und Frömmigkeit dieser Gemeinden spiegeln die ganze Breite des globalen Protestantismus.

Vier Typen

Man kann internationale Gemeinden vier Typen zuordnen:

  1. „Etabliert-denominationelle Diaspora-Gemeinden“ schaffen für die Community aus einer Konfession und einer Herkunftsregion eine geistliche und soziokulturelle Heimat. Zu ihnen gehören die meisten europäischen evangelischen Gemeinden, orthodoxe Kirchen und katholische muttersprachliche Missionen. Oft wurden sie von den Herkunftskirchen gegründet.
  2. „Freikirchliche Missionsgemeinden“ laden Migranten zum christlichen Glauben ein, die aus Ländern kommen, die christliche Mission behindern. Dazu gehören China, Vietnam, Iran, Türkei oder die arabischen Staaten. Dabei werden sie von deutschen und internationalen Missionswerken unterstützt.
  3. „Gemeinden reverser Missionskirchen“ sind charismatisch-pfingstliche oder afrikanisch-unabhängige Kirchen mit starken Verbindungen zu ihren Mutterkirchen in Afrika oder Korea. Sie verstehen sich als internationale Gemeinden, die auch Deutsche missionarisch erreichen wollen.
  4. „Unabhängige, nicht-denominationelle neue Missionskirchen“ kommen ebenfalls aus Zentral- und Westafrika und ähneln dem Typ 3. Sie sind hier als unabhängige Gemeinden entstanden und haben wenig Kontakt zu ihren Herkunftskirchen.

Nach Claudia Währisch-Oblau: Migrationskirchen in Deutschland. Überlegungen zur strukturierten Beschreibung eines komplexen Phänomens. In: Zeitschrift für Mission 31. Jahrgang (2005), Nr. 1 - 2, S. 19 - 39, hier S. 35 - 39.

Internationale Gemeinden bilden eine geistliche und soziokulturelle Heimat für ihre Mitglieder, die oft ohne Familie und soziale Netzwerke in Deutschland leben. Diese finden in den Gemeinden emotional sichere Räume, in denen sie Kräfte sammeln für die Anforderungen und Diskriminierungen als Zugewanderte. Die Gemeindeglieder unterstützen sich gegenseitig in schwierigen Lebenslagen seelsorglich, sozial und praktisch. Ein lebensnaher Glaube, Gottesdienste in einer vertrauten Sprache und Spiritualität sowie das Teilen gemeinsamer Erfahrungen stärken in den Freuden und Krisen des Alltags.

Immer mehr internationale Gemeinden sehen sich als Brückenbauer und wollen auch ihrem Aufnahmeland dienen. Sie bieten zum Beispiel Hausaufgabenhilfe an oder engagieren sich für Benachteiligte in der Nachbarschaft. Viele unterstützen außerdem Entwicklungsprojekte in ihren Herkunftsländern.

Ihr wichtiger Beitrag

Internationale Gemeinden leisten einen oft übersehenen kirchlichen und gesellschaftlichen Beitrag. Ihre teilweise prekäre Realität hindert sie häufig daran, ihr Potential auszuschöpfen. Es gibt Gemeinden, deren Mitglieder überwiegend in schlecht bezahlten Jobs mit Schichtarbeit tätig sind – auch am Sonntag. Darunter können die Finanzen und die verbindliche Zusammenarbeit in den Gemeinden leiden.

Doch aus der Spannung zwischen mangelnden Ressourcen und großer Leidenschaft erwächst in diesen Gemeinden oft große Lebendigkeit und ein tiefes Gottvertrauen.

Sabine Oberpriller beschreibt auf evangelisch.de in zehn Artikeln ganz unterschiedliche internationale Gemeinden.

Das Magazin Himmel und Erde für Lokalradios in NRW hat 2016 unter dem Titel „Hausbesuch“ neun internationale Gemeinden als kurzen Podcast vorgestellt.

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